Praliné
Renate Puvolgel
Vom Verschwinden
Angesichts der Bilder von Michael Krupp würde man wohl niemals vermuten, dass der Künstler einst Architektur studiert hat. Denn seinen Werken fehlt alles Statische, Tektonische, Konstruktive, Dauerhafte, das einem Bauwerk zukommen muss. Statt dessen ist es ausdrücklich das Flüchtige, Augenblickhafte, das Schwebende und Vergängliche, das Krupp in seinen Arbeiten zum Ausdruck bringen will. Mit verschiedenen Materialien, Techniken und Inhalten experimentierend, nähert er sich auf faszinierenden Wegen seinem Ansinnen, des Unfassbaren habhaft zu werden.
Als ein zentrales Motiv seiner Arbeit kann man das gerahmte Porträt ausmachen. Kleine Medaillons mit Porträtdarstellungen in Elfenbein aus dem Elternhaus geraten ihm zu einer Inspirationquelle für einen vielgestaltigen Werkblock. Dazu gießt Krupp eines dieser Medaillons in Wachs nach, wodurch das Augenmerk allein auf die Form gelenkt wird. Denn, ist der Rahmen nun seines Inhalts beraubt und leer, dann bringt er gewissermaßen die Urform dieser historischen Bildnisdarbietung als Prototypen hervor. Das Bildnis selbst kann nur noch erinnert werden, womit beides, Porträt und Rahmen Ausdruck gelebter und imaginierter Vergangenheit und Geschichte wird. Mit beidem ist ebenso die Entwicklung des gemalten wie auch des fotografischen Porträts angesprochen. Es liegt also gar nicht so fern, wenn sich Krupp in diesem Zusammmenhang dem Zyklus der 48 Porträts von Geistesgrößen von Gerhard Richter (1971/72) zuwendet. Überzeugend, wie er die verkleinerten Gemälde wie Radierungen bearbeitet und sticht, sie mit grünlichem Lack überzieht und und schließlich dergestalt zu Rundmedaillons rahmt, dass die Häupter leicht gewölbt schemenhaft mehr zu erahnen denn zu erkennen sind. So kann man also mit Recht von Reproduktion einer Reproduktion sprechen, wobei mehrere Techniken gegeneinander ausgetauscht werden. Damit bringt Krupp nicht nur die sich verändernde Aufnahmetechnik ins Gespräch, sondern holt auch die Erinnerung an die Heroen der Kulturgeschichte ins Gedächtnis qund das Medaillon gewinnt seine ursprüngliche Funktion und Wertschätzung zurück.
Bei näherer Betrachtung des anfänglich beschriebenen Gipsabdrucks des familiären Medaillons wird ersichtlich, dass dem gemusterten inhaltslosen Rahmen gleichzeitig etwas ausgesprochen Dekorhaftes anhaftet. Und dieser Terminus eröffnet ein neues Themenfeld, das Krupp interessiert: Der Schmuck, der barocke Zierrat als etwas Überflüssiges kann gerade, weil er entbehrlich ist, ungemein verzaubern. In einem Gemälde gerät eine detailliert gestaltete Zierranke, die eigentlich einen Rahmen abgeben sollte, sogar zum Bildinhalt. Vergleichbar einer Blüte, die ihren Duft nur für eine Weile verströmt, ist in diesem Zusammenhang das Praliné zu nennen, weil sein verführerischer Schmelz allzu rasch vergeht. Einzig durch die innere, golden glänzende, knisternde Plastikfolie, in welche die Pralinen gebettet waren, bleibt der Gedanke an die Süße der Schokolade auch nach deren Genuss gegenwärtig. Und ähnelt nicht auch jenes aus einem flachen Rund zur plastischen Hülle aufgefaltete Papier der einzelnen Pralinés ein wenig dem Rahmen eines Medaillons? Beide Objekte tragen ja in erster Linie in dienender Funktion einen anderen Gegenstand zur Schau. Aber ihnen soll im Sinne des Herstellers als aufwändig gestaltete Umhüllung auch ein eigener Reiz zukommen, um den Inhalt, das Produkt aufzupolieren und den Gaumengenuss als wertvoll darzubieten. Zweifelsohne liegt Werbung natürlich nicht im Sinne des Künstlers, vielmehr geht es ihm um das Verführerische wie Vergängliche des Erlebens. Mit der Vorstellung, wie wehmütig, ja, grausam jeder Mensch zuweilen den verrinnenden oder bereits vergangenen Augenblick erfährt, kommt unweigerlich das Moment Zeit ins Spiel. Diesen zeitlichen Vollzug kann der Betrachter nun miterleben, denn er manifestiert sich sichtbar sogar im Herstellungsprozess der neueren Bilder und noch klarer in den Videos und Objekten des Künstlers.
Es ist faszinierend zu beobachten, wie mal ein Motiv, ein andermal das Material und dann wieder ein Medium den Künstler zielgerichtet zu neuen Ufern führt und welcher Vielfalt an Methoden und Ausdrucksmöglichkeiten er sich der Realisierung seines zentralen Anliegens bedient, das Flüchtige, Vergängliche, nicht Greifbare zur Anschauung zu bringen. Es ist ein optisches Phänomen, dass sich ein Bild oder Objekt mit schimmernder, glänzender oder gar spiegelnder Oberfläche viel mehr eindeutiger Festlegungen entzieht als eines mit stumpfer. Dem entsprechend lassen sich in Krupps Werk fast ausschließlich sorgsam polierte Arbeiten finden. Hat er für die kleineren objektartigen Bilder das Stewalit als weiß glänzenden Firniss entdeckt, so grundiert er die großen Leinwände nicht nur sondern spachtelt sie, um die Struktur des Gewebes zu tilgen. Glanz ist ja nicht nur ein Zeichen von Schönheit, sondern er löst die Materialität nahezu ins Immaterielle auf. Auch die farbigen, ornamentalen Formen seiner Gemälde leuchten auffallend. Es sind blütenartige, organoide Figuren, die nebeneinander liegen oder deren Strahlen wie Zahnräder ineinander greifen. Auch jene Bilder handeln von dem Dialog zwischen Zentrum und Peripherie, Fülle und Leere, wobei Krupp hier die Mitte der kreisförmigen Formen jeweils durch eine Hilfskonstruktion leicht anhebt in der Absicht, Farbe von ihr aus zu den Rändern hin auslaufen zu lassen. Da jedes Bild von einem besonderen Farbton dominiert wird, assoziiert man mal barocke Ornamente, mal Schnecken und Muscheln, mal den Sternenhimmel oder im Gegenteil vergrößerte Mikrostrukturen. Es ist nicht auszumachen, ob sich die Figuren im Stadium des Entstehens oder der Auflösung befinden – in jedem Falle scheinen sie in einem Stadium des Übergangs festgehalten, so als komme ihnen ein Moment von Bewegung zu.
Veränderungen lassen sich bekanntermaßen gut in zeitlichem Ablauf vorführen. Und so hat Krupp nicht von ungefähr das wohl wandlungsfähigste, zugleich immateriellste Naturphänomen als Sujet eines Videofilmes gewählt: die Wolken. Wolken bewegen und verschieben sich, sie überlagern sich und können sich unmerklich auflösen. In einem zweiten Film abstrahiert Krupp dieses natürliche Geschehen zu einem schwarz- weißen Vorgang sich kontinuierlich verändernder, klappsymmetrisch vorgeführter Figuren. Indem er diese Art des variierenden Fortschreibens formuliert, charakterisiert er zugleich die Entwicklung der Kunst an sich. Denn, wie Ingeborg Bachmann so überzeugend formuliert: „In der Kunst gibt es keinen Fortschritt in der Horizontale, sondern nur das immer neue Aufreißen einer Vertikale. Nur die Mittel und Techniken in der Kunst machen den Eindruck, als handelte es sich um Fortschritt. Was aber möglich ist, in der Tat, ist Veränderung. Und die verändernde Wirkung, die von neuen Werken ausgeht, erzieht uns zu neuer Wahrnehmung, neuem Gefühl, neuem Bewußtsein.“ 1)
Die neueste Arbeit von Krupp scheint diese Überlegungen Bachmanns vollauf zu bestätigen. Dazu dient dem Künstler eine in ornamental verzierten Rahmen gefasste Metallplatte, deren Oberfläche er mit feiner Goldfolie überzogen hat. Ein Kühlaggregat bewirkt, dass sich die Oberfläche unter dem Einfluss des Atems der Anwesenden verändert, sie verliert dabei mehr und mehr an Glanz, sie wird nicht nur stumpf, sondern letztlich weiß; damit ist die ursprüngliche Gestalt samt ihrer Aussage unsichtbar geworden, sie ist gleichsam erstorben. Hier konzentrieren sich zentrale Fragen, die der Künstler immer wieder stellt: das Verhältnis von Rahmen und Zentrum, von Oberfläche und Gehalt. Die Arbeit führt das Thema von Veränderung, Flüchtigkeit, Auflösung und Verschwinden als bildliche Visualisierung und reale Demonstration sogar direkt vor. Der viel strapazierte Begriff „Vanitas“ liegt sicherlich nicht ganz fern. Dennoch ist es nicht vorstellbar, dass mit diesem Werk alles gesagt und sozusagen ein Höhe- oder gar Endpunkt erreicht ist, denn dann würde es für Krupp keine weiteren Varianten seiner Themen geben, und auf Wandlung ist sein Werk ja ausdrücklich angelegt.
1)Ingeborg Bachmann, Aus in den Frankfurter Vorlesungen, in: Gedichte, Erzählungen, Hörspiel, Essays, München 1964, S.309